Update: Eine verbesserte und ständig aktualisierte Version der Grafik in diesen Artikel ist unter github.com/SirPepe/SpecGraph zu finden.
In jüngster Zeit regen sich verstärkt Leute darüber auf, dass „HTML5“ immer mehr zu einer Art Marketingbegriff wird und nicht (mehr?) scharf zwischen HTML5 im Sinne der HTML5-Spezifikationen und HTML5 im Sinne von schau mal was dein Browser noch so alles kann
unterschieden wird. So wird zum Beispiel die Geolocation-API gerne als HTML5 angepriesen, hat aber damit streng genommen nichts zu tun – sie ist Gegenstand einer völlig eigenen Spezifikation des W3C. Manche regt dieses falsche Label so sehr auf, dass sie ganze Websites erschaffen um ihrem Zorn Ausdruck zu verleihen (kreativerweise unter Zuhilfenahme der Geolocation-API selbst).
Statt zu zürnen halte ich es lieber mit Erklärungen und die folgende Grafik, die ich letzte Woche für andere Zwecke gebaut habe, sollte den Problemkomplex „HTML5“ hoffentlich einigermaßen verbraucherfreundlich illustrieren:
Download als Inkscape-SVG
Web-optimiertes SVG von Pawel. Danke!
Damit kann man vielleicht dem Einen oder Anderen HTML5-Falschbezeichner den wahren Weg weisen. Aber hilft das wirklich irgendwem bei irgend etwas? Beispielsweise ist es so, dass sich jene Features, mit denen man eine Website zur Offline-App verwandeln kann, auf HTML5 selbst (in Form des dort spezifizierten Application Cache) und diverse andere Standards (DOM Storage und WebSQL) verteilen. Da genau zwischen HTML5 und „HTML5“ zu trennen wäre sicher sachlich richtig, nur wer hat am Ende etwas davon? Wem das nützt da was?
Und ohnehin ist fraglich, ob man die laufende Begriffs(um)bildung überhaupt stoppen kann. Ich als Hobbylinguist und Ex-Historiker habe da meine Zweifel. Einst grub mein Onkel Heinz auf seinem Dachboden ein „Verdeutschungsheft“ aus dem Jahre 1916 aus, in dem der Allgemeine Deutsche Sprachverein seinen Leser antrug, böse Gallizismen wie „Büro“ oder „Garage“ aus gegebenem Anlass doch bitte in ihrem Gebrauch einzuschränken. Was soll denn sonst der Kaiser denken! Wie wir heute wissen, hat das super funktioniert – trotz großer Verbreitung solcher Heftchen. Und wenn nicht mal der Allgemeine Deutsche Sprachverein verhindern kann, dass jeder sagt was er will, wie soll man das dann als HTML-Nerd hinkriegen?
Will man das überhaupt? Die Welt ist auch nicht untergegangen, als alles, was irgendwie blinkte, das Label „AJAX“ verliehen bekam. Wir werden es also überstehen, wenn auch Geolocation und WebWorkers in Zukunft umgangssprachlich als HTML5 bezeichnet werden.
Update: Besseres Bild mit mehr Klarheit und weniger Tippfehlern ist eingebaut.
Update 2: Bild nochmal nachgebessert. Jetzt dürften alle Unklarheiten beseitigt sein.
Update 3: Eine verbesserte und ständig aktualisierte Version der Grafik verschiedenen Formaten ist ab jetzt unter github.com/SirPepe/SpecGraph zu finden.
Kommentare (26)
Florenz ¶
20. Mai 2010, 08:10 Uhr
Sehr schöner Artikel.
Dürfte ich die Grafik in meiner Abschlussarbeit über HTML5 benutzen?
Peter ¶
20. Mai 2010, 08:15 Uhr
Logo, nur zu.
Ole ¶
20. Mai 2010, 08:34 Uhr
Man bedenke den allgemeinen "Mißbrauch" des einstigen Begriffes "Web 2.0". Die ursprüngliche Bedeutung von Tim Berners-Lee wurde so ausgeweitet, daß irgendwann alles "Web 2.0" war ("Das muß aber Web 2.nullig aussehen"). Am Ende war das auch egal, auch wenn sich die Webgemeinde furchtbar aufgeregt hat.
Time goes by....
NB ¶
20. Mai 2010, 08:44 Uhr
Wirklich ein sehr lesenwerter Artikel!
Als studierte Linguistin kann ich dazu nur sagen, dass der Gebrauch die Definition schafft und nicht umgekehrt :-) Der Duden erfindet ja keine Wörter, sondern nimmt sie auf- von daher ist es auch gar nicht schlimm, wenn sich Bedeutungen verändern.
In "Fachkreisen" macht eine präzise Abgrenzung Sinn, darüber hinaus ist es meiner Meinung nach auch einfach nicht notwendig. BTW: Was war nochmal im eigentlichen Sinne das "Web 2.0." und wie definiert der Bildleser das heute ?
NB ¶
20. Mai 2010, 08:46 Uhr
Das kommt davon wenn man sich zuviel Zeit mit dem abschicken lässt... zu Web 2.0. hat Ole ja gerade etwas geschrieben.
Jens Grochtdreis ¶
20. Mai 2010, 09:11 Uhr
Es ist wie mit der Mehrwertsteuer. Diese ist seit Ende der 60er abgeschafft, konnte demnach nicht auf 19% erhöht werden. Wir haben seit Jahrzehnten eine Umsatzsteuer (USt.). Der Begriff "Mehrwertsteuer" (MwSt.) ist inhaltlich falsch, wird aber sogar juristisch akzeptiert, weil er sich offenbar im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hat.
Daran erkennt man am Ende den Fachmann. Ein Finanzbeamter sollte niemals von "Mehrwertsteuer" sprechen. Bei uns sollte das ähnlich sein. Wir sollten bspw. niemals vom "Alt-Tag" sprechen. Wenn ich dahingehend einen Kunden berichtige, dann interessiert ihn das nicht.
Ähnlich ist es mit HTML5 und Web 2.0. Und da viele Artikel diesbezüglich von Fachleuten wie Nicht-Fachleuten gelesen werden, ist eine gewisse Unschärfe sicherlich sehr hilfreich.
FL ¶
20. Mai 2010, 10:01 Uhr
Zwei nette Tippfehler in der Grafik:
"HTML5 bezeichenet"
"Webworkers Hintergrundprozese"
Bitte, keine Ursache.
molily ¶
20. Mai 2010, 10:18 Uhr
Ausschließlich bei der WHATWG wird meines Wissens keine Spec entwickelt. Auch Web Workers werden beim W3C eingereicht:
http://www.w3.org/TR/workers/
http://dev.w3.org/html5/workers/
Insofern kann ich die Aufteilung des Diagramms nicht ganz nachvollziehen - wo liegt der Unterschied zu DOM Storage, Web SQL Database und Co., die du klar der W3C-Seite zugeordnet hast? Dass es die Web-Workers-Spezifikation *auch* separat auf whatwg.org gibt? (Warum eigentlich, frage ich mich.)
Andere wichtige Spezifikationen werden nicht aufgeführt. Canvas und Microdata z.B. sind separate W3C-Spezifikationen, im WHATWG-HTML5 hingegen integriert. Durch diesen Unterschied ist unklar, was mit dem »eigentlichen« HTML5 gemeint ist.
In dieser Übersicht hatte ich mal versucht, die relevanten Spezifikationen und ihren Status aufzulisten:
http://molily.de/weblog/html5-specs
datenkind ¶
20. Mai 2010, 10:27 Uhr
WAI-ARIA -> Widgets.Eigenständige – da fehlt’n Leerzeichen
Danke für den Artikel. Ist immer gut, etwas Munition gegen die ganzen Businesskasper zu haben, die ständig nur mit Buzzwords zumeiern aber gar nicht wissen, wovon sie da eigentlich reden. Es ist komplex, das bestreitet keiner. Aber nur weil man was nicht besser weiß, ist es nicht egal.
Achso, und ich hätt gern eine signierte Ausgabe des Buches. ;)
Peter ¶
20. Mai 2010, 10:30 Uhr
Danke für die ganzen Tippfehler-Korrekturen. Das passiert wenn man sowas mitten in der Nacht bastelt :)
Ich schiebe heute im Laufe des Tages noch eine aktualisierte Version der Grafik ohne die Fehler nach. Werde dann auch WebWorkers richtig(er) verorten und mir irgendwas einfallen lassen, um darzustellen, dass DOM Storage früher mal Teil der HTML5-Spezifikationen war.
Simon ¶
20. Mai 2010, 15:41 Uhr
Hallo Peter, kleine (konstruktive) Kritik zur Grafik: Es heißt "Creative Commons" und nicht "Creative Commens". Ansonsten ein generelles dickes Lob für deine vielen informativen Beiträge!
Tim Latz ¶
20. Mai 2010, 16:44 Uhr
Es hat IMHO etwas mit dem Hype zu tun. Je mehr dieses Wort (HTML5) in Gebrauch ist, desto mehr Dinge werden damit assoziiert. Und die Sache mit DOM-Storage wäre nicht die erste, die den Weg in das fertige RFC nicht gefunden hat. Netscape hatte vor Urzeiten eine probietäre Eigenschaft: Mehrspaltige Texte! (-moz-column-count)
Jetzt erst wird die Eigenschaft wahrscheinlich in CSS3 einfliessen. Jahre später :-)
molily ¶
20. Mai 2010, 18:29 Uhr
Danke für die Überarbeitung. Allerdings habe ich den Endruck, dass das Diagramm verschiedene Sachverhalte gleichzeitig darstellen will. Wenn es zeigen soll, welche Specs in welchen enthalten sind, so gibt es noch einen Fehler: Die W3C-HTML5-Spezifikation ist eine strenge Untermenge der WHATWG-Spezifikation. Es gibt m.W. nichts in der W3C-Spec, was nicht auch in der Gesamt-WHATWG-Spec drin ist.
Und WAI-ARIA würde ich genauso wie SVG und MathML behandeln. Man kann ARIA-Markup genauso wie SVG und MathML einbetten. Die ARIA-Spec ist aber nicht Teil der HTML5-Spec. Die Specs sind jedoch stark verknüpft.
Wenn es darum geht zu zeigen, welche Spec in welcher enthalten ist, so würde ich folgendes Diagramm zeichnen: http://img.ly/1huv
Vgl. http://www.whatwg.org/specs/web-apps/current-work/multipage/introduction.html#is-this-html5?
(Zu Device käme noch Ping hinzu, wenn man genau sein will.)
Peter ¶
20. Mai 2010, 18:44 Uhr
Zitat molily:
Ja... im Moment. Aber wer weiß ob das so bleibt.
Da ist durchaus was dran... SVG könnte man da auch einbauen. Andererseits würde ich schon behaupten wollen, dass ARIA da ein gutes Eck intensiver verzahnt ist, allein schon wegen der Standard-Eigenschaften der neuen Elemente. Es ist knifflig.
Das ist auch ein gutes Diagramm :)
Ich werde die Tage bestimmt meins auch nochmal tunen. Vor allem wäre es wirklich sinnvoll, hier und da die Beziehungen der einzelnen Dinge (Microdata und Storage als Ex-HTML5-Bestandteil etc) aufzuzeigen. Aber diesen Spec-Moloch abzubilden ist überraschend anstrengend.
Tobias ¶
20. Mai 2010, 21:11 Uhr
Danke für den Artikel.
Ich werde die "gute Kunde" gleich mal weiterverbreiten, damit der "Irrglaube" aus der Welt geräumt wird ;)
pawel ¶
22. Mai 2010, 08:14 Uhr
Unter Inkscape Inkscape 0.47 (r22583, Linux) habe ich Darstellungsfehler der Grafik, insbesondere des Textes.
Keiner der modernen Browser (auch nicht Opera) stellt die Grafik korrekt dar.
Das ist bei einer recht einfachen Grafik natürlich sehr schade. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass das für den Text verwendete Element flowRoot erst für Version 1.2 spezifiziert ist und nicht so breit unterstützt wird.
Peter ¶
22. Mai 2010, 16:42 Uhr
Grafik nochmal nachgebessert. Jetzt dürften endgültig alle Unklarheiten beseitigt sein.
Zitat pawel:
Komisch, ich das Ding doch eigenhändig mit Inkscape 0.47 r22583 gebaut... die Browser sind mir eigentlich egal, aber Inkscape sollte diese Datei eigentlich schon öffnen können...
pawel ¶
22. Mai 2010, 19:22 Uhr
Jetzt läuft es mit Inkscape. (Wir verwenden ja auch die gleiche Ubuntu-Version)
Es gibt wohl in Inkscape einen kleinen Bug. Ohne die installierte Anivers, wurden die Textfelder normal angezeigt, mit ihr erhielten die Textfelder mit Umbruch einen schwarzen Hintergrund.
Öffnen konnte Inkscape natürlich auch die andere Datei.
Was die Browser betrifft...Das schöne an HTML5 ist es doch, dass eine Einbettung von SVG in das HTML sehr einfach möglich ist. Inhaltlich ist deine Grafik dafür wie geschaffen.
Manuel ¶
24. Mai 2010, 08:25 Uhr
Eine Frage, unterstützt der aktuelle Firefox unter Mac OSX kein SVG Format. Deine Grafik sieht dort etwas komisch aus. Beim Safari gibt es keine Probleme.
Peter ¶
24. Mai 2010, 09:14 Uhr
Der Firefox unterstützt SVG an sich das schon, aber meine Grafik unterstützte keinen Firefox :)
Pawel hat mir eine Web-optimierte Fassung der SVG-Grafik zukommen lassen, die jetzt auch oben verlinkt ist. Damit sollte es in Browsern keine großen Probleme mehr geben – und die Schrift (Anivers und Anivers bold, letztere kommerziell) fehlt dann eben.
me ¶
24. Mai 2010, 13:47 Uhr
Huch, und ich hab Geolocation und Web Workers mit in mein Referat über HTML5 und CSS3 aufgenommen..! Es gibt aber wirklich viele, die das in einem Atemzug nennen: Auf YouTube gibt es ein viel gesehenes Video eines Google Developers "Introduction to HTML 5", in dem er u.a. Inline SVG und Web Workers vorstellt und diese Sachen somit HTML5 zuordnet. Ich meine - Google Developer! Denen glaubt man doch bei solchen Themen!
Harald ¶
30. Mai 2010, 06:22 Uhr
In der populäre Ausweitung des Begriffs HTML5 auf neue Webtechnologien als Nachfolger von AJAX und Web 2.0 sehe ich erstmal kein Problem. Es ist ja auch schon lange gebräuchlich, dass Markennamen als Gattungsname verwendet werden (Tempo, Tip-Ex, Jeep, Rigips).
Was ich jedoch schlimm finde, wenn insbesondere in Fachzeitschriften HTML5 falsch oder - gerade in letzter Zeit - reduziert auf das VIDEO-Element verwendet wird.
Tsi'Vair ¶
16. August 2010, 15:43 Uhr
Ich finde SVG, MathMl etc. sind ja nur XML-Sprachen. Man kann ja alles einbetten. Man muss ja nur einen Namensraum im Stammelement bzw. vor Ort Deklarieren. Man kann ja auch selbst eine DTD dafür definieren, Auch wenn wohl kein Browser ohne zuhilfenahme von XSL/CSS das verstehen würde. Aber: Das geht höchstwahrscheinlich nur in XHTML5 und nicht in HTML5, da HTML5 ja immer noch ein SGML-Format sein wird, XHTML5 aber ein XML Format.
R. ¶
9. November 2010, 13:33 Uhr
Zitat NB:
Na man gut, dass das wenigstens bei den Medizinern nicht gilt und Begriffe auf diese Weise aufgeweicht werden.
mascho ¶
4. Juni 2012, 11:08 Uhr
Darf ich Ihre Grafik in einem Vortrag über HTML5 und in meinem Skript verwenden?
Die Quelle werde ich selbstverständlich angeben.
Peter Kröner ¶
4. Juni 2012, 13:06 Uhr
Lieber diese Grafik hier verwenden, die ist aktueller, korrekter und schöner: github.com/SirPepe/SpecGraph