Man liest, das W3C plane HTML 5.0 im vierten Quartal 2014 fertig, d.h. in einen stabilen Webstandard verwandelt zu haben. Features die sich nicht in diesen Zeitplan quetschen lassen, sollen nach HTML 5.1 verschoben werden, mit dem dann Ende 2016 zu rechnen ist. Das klingt erst mal recht unkompliziert, aber da allerorten mit dem Begriff „HTML5“ etwas unbedacht umgegangen wird (auch in dem W3C-Plandokument) ist etwas unklar, was konkret denn nun 2014 fertig sein soll. Und natürlich lohnt es sich zu fragen, welche Auswirkungen diese Erhebung zum Standard denn haben wird. Ich hatte das bereits in der letzten Folge von Working Draft aufgedröselt, aber der Vollständigkeit halber möchte ich hier nochmal aufschreiben, was es mit diesem Plan auf sich hat und was er für HTML5 zu bedeuten hat.

HTML5 oder HTML 5?

Man kann „HTML5“ entweder mit oder Leerzeichen vor der Fünf scheiben. Die Schreibweise ohne Leerzeichen ist im WHATWG-Lager usus, Freunde des W3C haben es lieber mit Leerzeichen. Die WHATWG ist, wir erinnern uns, jene Arbeitsgruppe der Browserhersteller, die ursprünglich die Entwicklung der ganzen schönen neuen Webtechnologien losgetreten hatten. Die HTML-Arbeitsgruppe des W3C befasst sich mit einem Teilaspekt der WHATWG-Spezifikationen – jenem, der sich vorrangig mit HTML5 im Sinne von HTML befasst. Von diesen beiden Arbeitsgruppen ist weiterhin der allgemeine Sprachgebrauch zu unterscheiden, der den Begriff HTML5 noch viel weiter fasst. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte:

Grafik, die das Verhältnis von diversen Webtechnologie-Spezifikationen zueinander illustriert

Der große grüne Kreis ist die Spezifikation der WHATWG, und der große blaue Kreis innen ist die Spezifikation des W3C. Wenn man die Inhaltsverzeichnisse beider Spezifikationen vergleicht, wird der Unterschied klar: währen die WHATWG auch diverse JavaScript-APIs spezifiziert, enthält das W3C-Dokument fast nur HTML im Sinne von HTML. Das heißt aber nicht, dass das W3C sich nicht auch um die JS-Apis kümmern würde, nur ist es eben so, dass einiges, was bei der WHATWG Teil von HTML5 ist, beim W3C in einem eigenen Spezifikationsprozess bearbeitet wird (z.B. der Canvas 2D-Context bei WHATWG und W3C). Der große gelbe Kreis bildet den allgemeinen Sprachgebrauch ab, der unter HTML5 alles vereinigt, was es schönes neues im Browser gibt, von HTML-Tags bis hin zu clientseitigen Datenbanken. Das ist das, was Otto Normalverbraucher mit „HTML5“ meint.

Was wurde beschlossen (und wie schreibt man es)?

Das, was das W3C in seinem Plan für 2014 anpeilt, ist die Anfertigung eines Snapshots vom Dokument der W3C HTML-Arbeitsgruppe (großer blauer Kreis). Die Spezifikationen sollen bis Ende 2014 so weit stabilisiert werden, dass man es zur Recommendation, d.h. zu fertigen Standard erklären kann. Alle anderen Dokumente inklusive der HTML5-Spezifikationen der WHATWG sind davon nicht betroffen. Weil das W3C-Dokument sich vor allem um Parser und HTML-Tags und weniger um Browser-APIs dreht, würde dieser neue Webstandard dann auch tatsächlich eine neue Version von HTML darstellen. Dieser neue Standard hätte dann auch die Schreibweise „HTML 5“ verdient – hier wäre die 5 eine echte Versionsnummer und nicht wie bei „HTML5“ nur Teil eines Namens. Und wenn man schon wieder Versionsnummern hat, so spricht auch nichts mehr gegen Folgeversionen wie 5.1 und weiteres.

Es wäre natürlich praktisch, wenn sich die Welt darauf einigen könnte, die Schreibweise „HTML5“ für die Buzzword-Bedeutung der neuen Technologien zu reservieren und „HTML 5“ bzw. „HTML 5.0“ für die W3C-Spezifikationen zu verwenden (das W3C wirft beides in seinem Plan-Dokument wild durcheinander). So würde uns einerseits der liebgewonnene Oberbegriff erhalten bleiben, andererseits könnte man über die nächste Version einer Auszeichnungssprache sprechen (oder eher schreiben), ohne sich dem Verdacht auszusetzen, ein JavaScript-Supernerd oder gar ein überhypter Nichtsblicker zu sein. Ob es soweit kommt, wird die Zeit zeigen, aber ich werde dieses System auf jeden Fall in Zukunft verwenden.

Dokumente und Recommendations hin oder her: was ändert sich denn nun durch die Standardisierung einer neuen HTML-Version? Eigentlich nichts.

Was sind die Auswirkungen?

Webstandards sind praktisch immer deskriptiv und nicht normativ. Eine Technologie wird nicht zum Standard, indem das W3C sie aufschreibt und folgsame Browserhersteller sie implementieren, sondern es läuft fast immer umgekehrt. Die Programmierer von Browser A erfinden ein neues Feature, die Programmierer von Browser B implementieren etwas ähnliches, man einigt sich auf einen einheitlichen Kompromiss und das W3C schreibt das Endergebnis auf. Somit dürfte klar sein, dass in dem fertigen Standard nichts drin stehen wird, was neu ist, sondern er wird die dann bestehende Browser-Realität abbilden und für die Zukunft festschreiben.

Für Webentwickler gibt es also eigentlich nichts, was sich im Q4 2014 ändert. Falls auch dann jemand noch den Internet Explorer 8 unterstützen muss (Gott bewahre!), so wird er sich nichts davon kaufen können, dass es eine Recommendation für <section> gibt, denn dieses Feature wird der IE8 auch 2014 nicht unterstützen. Auch wird die Standardisierung von HTML 5.0 nicht das Ende des zur Zeit chaotischen Entwicklungsmodells oder des allgemein „unfertigen“ Eindrucks der Web-Plattform bedeuten. Zwar wird dann einiges in Browsern möglich sein, was heute nur in Chrome-Nightlies funktioniert, doch dafür werden sich die Browser-Programmierer bis dahin neue Features ausgedacht haben, über deren Nichtfunktionieren wir uns dann aufregen können.

Wenn also aus „HTML5“ demnächst „HTML 5.0“ wird und es mit dem Recommendation-Stempel versehen wird, heißt es also aus der Perspektive der Webentwickler mal wieder: Raider heißt jetzt Twix … sonst ändert sich nix.