Im Augenblick arbeitet eine parteien- und länderübergreifende Koalition an einem diesmal ernstzunehmenden Versuch, das Internet in diesem Lande auf chinesische Verhältnisse zurechtzustutzen. Zensursulas Stoppschild ist dagegen harmlos – erstens weil das Zugangserschwerungsgesetz aller Voraussicht schon allein wegen Zuständigkeitsfragen verfassungswidrig gewesen wäre, zweitens die angedachten Sperren in Sachen Umfang und Technik vergleichsweise armselig gewesen wären und drittens damals eine vom Start weg eine öffentliche Debatte stattfand, in die sich die Zensurgegner einklinken konnten. All das ist bei Zensursula 2.0 anders.

Es sind heimlich, still und leise Änderungen am Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) in Arbeit. Ein Staatsvertrag ist eine Vereinbarung zwischen den Bundesländern, mit denen Dinge, für die Länder zuständig sind, einheitlich geregelt werden. Und das betrifft eben auch Medien, Rundfunk und Internet. Die angedachten Änderungen haben es wahrlich in sich (Quelle: AK Zensur):

  • ISPs, Anbieter von Webspace und Betreiber von Websites werden gleichgesetzt. Alle haben offenbar gleichermaßen für die Einhaltung der Bestimmungen des JMStV zu sorgen.
  • Provider werden verpflichtet, alles ausländischen Websites zu blocken, die sich nicht an die Bestimmungen des JMStV halten.
  • Jene Bestimmungen sehen vor, Websites in Altersklassen zu kategorisieren (ab 0, 6, 12, 16 oder 18 Jahre) und es ist sicherzustellen, dass Kinder der falschen Altersklassen nicht an die Inhalte herankommen.
  • Mittel der Wahl sind hierbei „ab 18 Jahre“-Hinweise sowie feste Sendezeiten für Websites – also zum Beispiel nur von 22 bis 6 Uhr für Inhalte ab 16.

Nur zur Sicherheit: das ist keine Satire. Daran wird tatsächlich gearbeitet. Wer das nicht glauben mag, findet im Netz entsprechende Arbeitsentwürfe. Es irritiert mich ein wenig, dass ich bisher (anders als bei Zensursula 1.0) noch in keinem Webworker-Blog etwas hierüber gelesen habe – immerhin ist das hier ein wesentlich gefährlicherer, weil umfassenderer und nicht so offensichtlich verfassungswidriger Ansatz. Der JMStV hat eine ganze Latte höchst bedenklicher Implikationen, gerade für uns Webworker:

  • Es wird eine Art Deutschland-Intranet plus X erschaffen – für ein paar kommerzielle große Websites aus dem Ausland wird es sich sicher lohnen, den JMStV zu befolgen, für euer liebstes Webdesign-Blog aus Übersee sicher nicht. Dieses wird dann also einfach geblockt und das war‘s. Ein ähnliches Schicksal könnte viele Websites und Dienste ereilen: Github, Microformats.org, der HTML5-Entwurf der WHATWG, sonstige wichtige Open-Source-Projekte und und und.
  • Der geneigte Webdesign-Blogger wird verpflichtet, seine Kommentare zeitnah auf Unbedenklichkeit im Sinne des JMStV zu prüfen. Weder weiß man, was zeitnah ist, noch dürften sich die meisten von uns juristisch genug geschult sein, um das zu beurteilen.
  • Wenn an allen Ecken und Enden Zäune und Schranken aufgestellt werden, wird es zunehmend unmöglich, in offenen Prozessen via Internet gemeinsam Wissen zu erarbeiten oder auch nur seine Euros zu verdienen – selbst wenn hierbei alle beteiligten Personen über 18 sein sollten, wenn etwas gesperrt oder erst ab 22 Uhr zugänglich ist, ist das nicht zu ändern.

Was ist zu tun? Es würde schon reichen, eine beliebige an der Regierung irgendeines Landes beteiligte Partei/Fraktion gegen den JMStV zu gewinnen, denn damit ein Staatsvertrag zustande kommt, müssen alle Länder mitziehen. Naheliegende Ziele für Nerd-Lobbyismus wären die vorrangig die Grünen und die FDP, sowie gegebenenfalls die Linke – und falls noch jemand intelligentes Leben innerhalb der SPD vermutet, kann ein Versuch auch dort nicht schaden.

Am Ende dieses Blogposts von Jörg Tauss findet sich ein Musterbrief, es gibt eine Liste mit Adressen der Ministerpräsidenten und Fraktionsvorsitzenden, Bayern und Hamburger können sich bei Abgeordnetenwatch umsehen, für Abgeordnete Baden-Württemberg gibt es eine Excel-Tabelle und für NRW ein PDF. Weiteres Infomaterial liefert die Piratenpartei. Die Zeit drängt, denn der JMStV soll noch diesen Monat Unterschiftsreife erlangen. Also an die Arbeit: Landtage belagern, Abgeordnete und Amtsträger mit Briefen, E-Mails und Faxen zuschütten (dabei aber nett und sachlich bleiben), bloggen, twittern, aufklären.